Sehr knapp war es für die FDP Hessen. Mit gerade mal 5 Prozent ziehen Stefan Naas, René Rock und Kollegen zwar nochmal in den Landtag ein, aber Beobachter sprechen bei der FDP von einem politischen Zombie
Sehr knapp war es für die FDP Hessen. Mit gerade mal 5 Prozent ziehen Stefan Naas, René Rock und Kollegen zwar nochmal in den Landtag ein, aber Beobachter sprechen bei der FDP von einem politischen Zombie


Wiesbaden – Die großen Gewinner der hessischen Landtagswahl sind CDU und AfD, während SPD, Grüne, FDP und Linke herbe Niederlagen einstecken mussten. Die Union von Ministerpräsident Boris Rhein konnte am 8. Oktober in der Wählergunst um 7,6 auf 34,6 Prozent deutlich zulegen. „Es ist ein unfassbar großartiger Tag für die Hessen-Union“, jubelte der Amtsnachfolger von Volker Bouffier bei den ersten Hochrechnungen. Hessen habe der CDU einen „klaren Regierungsauftrag gegeben“. Der 51-jährige Frankfurter kündigte „eine Regierung aus der Mitte der Gesellschaft, aus der Mitte des Landes“ an und erteilte Koalitionsavancen der AfD eine klare Absage: „Das ist nicht nur eine Brandmauer, das ist ein tiefer Graben. Die Werte dieser Partei passen nicht zu christdemokratischen Werten.“ Die AfD wurde von den Wählern mit einem Plus von 5,3 Prozent und einem Stimmenanteil von 18,4 Prozent zur zweitstärksten Kraft gemacht. Ihr Spitzenkandidat Robert Lambrou sprach von einer historischen Dimension: „Das Ergebnis ist atemberaubend. Es ist das beste Wahlergebnis der AfD in Westdeutschland jemals.“ Der bisherige Fraktionschef verwies auf die Mitte-Rechts-Mehrheit im neuen Landtag: „Es gäbe eine satte Mehrheit für Schwarz-Blau“ .

Größte Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung können sich die Grünen machen, die in Hessen schon seit 2013 zusammen mit der Union regieren. Ihr Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir war mit dem ehrgeizigen Ziel angetreten, neuer Ministerpräsident zu werden. Stattdessen verloren die Grünen 5,0 Prozent ihrer Stimmen und landeten bei 14,8 Prozent. Als Grund für die geplatzten Blütenträume machte Al-Wazir den Politikstil der rot-grün-gelben Bundesregierung aus: „Alle Parteien, die an der Bundesregierung beteiligt sind, hatten keinen Rückenwind und mussten bergauf kämpfen.“ Nun will er unbedingt auch dem neuen Kabinett angehören und liest aus dem Wahlergebnis den Wunsch nach einem schwarz-grünen „Weiter so“ heraus: „Wir haben keine Wechselstimmung, sondern eher eine Zufriedenheit mit der schwarz-grünen Koalition.“ 

Nancy Faeser und die SPD hatten im Wahlkampf anfänglich wenig Glück und später kam noch Pech hinzu

Ein ähnliches Desaster wie die Grünen erlebten die Sozialdemokraten, deren Herzland Hessen einmal war. Mit ihrer Spitzenkandidatin, der Bundesinnenministerin Nancy Faeser, wurden sie gleichermaßen für die schlechte Kanzlerdarstellung von Olaf Scholz als auch für die Politik der offenen Grenzen abgestraft. Mit Verlusten von 4,7 Prozent und nur noch 15,1 Prozent fuhr die SPD ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis in dem Bundesland ein. SPD-Landtagsfraktionschef Günter Rudolph sprach unverblümt von einem sehr bitteren Ergebnis. Faeser mimte hingegen die Abgeklärte: „Wir hatten viel Gegenwind, wir haben es in den Umfragen gesehen. Deswegen ist es auch nicht ganz so überraschend, aber trotzdem sehr enttäuschend.“ Trotz der schallenden Ohrfeige für die Kanzlerpartei zeigte sich die 53-Jährige noch am Wahlabend zuversichtlich, im Amt der Bundesinnenministerin bleiben zu können: „Ich habe sehr viel Solidarität heute aus Berlin erhalten.“

Tarek Al-Wazir und die Grünen bleiben wichtiger Faktor der hessischen Politik

Boris Rhein bot sowohl den Grünen als auch der SPD und FDP Gespräche über eine Regierungszusammenarbeit an. Die Freien Demokraten mussten bis in die späte Nacht zittern, ob sie überhaupt wieder dem Landtag angehören. Mit Verlusten von 2,5 Prozent gelang ihnen mit viel Glück die Punktlandung bei genau 5,0 Prozent. Spitzenkandidat Stefan Naas bilanzierte: „Die Ampel hat uns nicht genutzt.“ Auch Hessens FDP-Chefin Bettina Stark-Watzinger, die als Bundesbildungsministerin mit den Roten und Grünen am Kabinettstisch sitzt, machte bundespolitische Gründe für die hessische Beinah-Katastrophe der Liberalen verantwortlich: „Wir sehen natürlich, dass das Regierungshandeln aus Berlin auch auf die Landtagswahlen sich niederschlägt.“ Der hessische FDP-Fraktionsvorsitzende René Rock bedauerte, dass man nicht deutlicher gemacht habe, „warum man statt CDU auch Freie Demokraten hätte wählen können“. Für die Linke könnte mit der Hessenwahl endgültig die Sterbeglocke geläutet haben. Sie büßte 3,2 Prozent der Stimmen ein und wurde mit 3,1 Prozent aus dem letzten Landtag eines westdeutschen Flächenlandes herauskatapultiert. Linken-Spitzenkandidatin Elisabeth Kula machte sich trotz des gescheiterten Wiedereinzugs selber Mut und versicherte, den „Kampf für soziale Gerechtigkeit und gegen den Rechtsruck“ außerparlamentarisch fortzuführen. 

Boris Rhein und Frank Lortz spüren endlich wieder Oberwasser für die hessische CDU

Linksliberale in der CDU feiern das Ergebnis, weil sich Boris Rhein im Wahlkampf von Aussagen seines Bundesparteichefs Friedrich Merz über die erschlichene Zahnsanierung abgelehnter Asylbewerber distanziert hatte. Einen Tag nach dem Urnengang sagte der alte und neue Ministerpräsident: „Ich glaube, die Strategie ist richtig gewesen, zwar eine sehr klare konservative Sprache zu sprechen, aber eben keine falschen Signale zu senden.“ Eine vorgeblich konservative Sprache reichte aber nicht, um die AfD einzudämmen, die mit ihrer Forderung nach einer spürbaren Zuwanderungsbegrenzung ein Alleinstellungsmerkmal unter den Landtagsparteien hat. Die Gießener Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève sieht im Protest gegen die herrschende Migrations- und Sicherheitspolitik das Hauptmotiv vieler AfD-Wähler. Diese Einschätzung deckt sich mit den Ergebnissen einer repräsentativen Vorwahl-Erhebung des Instituts Infratest dimap. Demnach bezeichneten 51 Prozent der AfD-Anhänger die Zuwanderungsfrage als für sie wahlentscheidend. 93 Prozent der Befragten sorgten sich, dass zu viele fremde Menschen nach Deutschland kommen, und 92 Prozent, dass die Kriminalität stark zunimmt. 

Stefan Naas und René Rock konnten sich nur sehr knapp mit der FDP in den neuen Landtag retten

Trotz dieser klaren demoskopischen Befunde bestreitet die abgewatschte Hessen-SPD die Relevanz des Migrationsthemas. So behauptete ihr Generalsekretär Christoph Degen mit Blick auf Koalitionsgespräche mit der CDU: „Das Migrationsthema spielt in Hessen gar keine so große Rolle, auch wenn gestern offenbar darüber abgestimmt wurde. Ich sehe jetzt nicht, wo das ein Landesthema ist, das in einem Landeskoalitionsvertrag große Berücksichtigung finden sollte.“ Dabei verlor die SPD in Hessen 32.000 Stimmen an die AfD und ist damit nach der CDU die Partei mit den zweitmeisten Wählerwechseln in Richtung der Rechtskonservativen. Im Dezember werden die Sozialdemokraten zu einem Landesparteitag zusammenkommen und sich personell neu aufstellen. Degen äußerte die Erwartung, dass Nancy Faeser Landesvorsitzende bleiben wird. Aus Unionskreisen wurden erwartungsgemäß Forderungen laut, die Hessin möge ihr Amt als Bundesinnenministerin aufgeben. Trotz des von ihr zu verantwortenden 15-Prozent-Desasters hält Bundeskanzler Olaf Scholz an der Genossin fest. Sein Sprecher Steffen Hebestreit betonte: „Er ist fest entschlossen, auch weiterhin mit Nancy Faeser als Bundesinnenministerin im Kabinett zusammenzuarbeiten.“ Es sei fraglos sympathisch, „dass sich Kanzler Olaf Scholz jetzt schützend vor Innenministerin Nancy Faeser stellt, obwohl sie als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl in Hessen krachend gescheitert ist“, kommentierte die linke „tageszeitung“ die Causa Faeser. „Die Rücktrittsforderungen aus der Union werden die sozialdemokratischen Reihen zunächst erst recht schließen. Doch das ist nur akute Notwehr. Alles spricht dafür, dass Faeser nicht mehr lang im Amt bleibt. Und das wäre auch nicht gut.“

Gute Ausgangslage für Andreas Lichert und Dimitri Schulz bei der AfD

Wahlsieger Boris Rhein machte nach ersten Vorsondierungen mit Grünen und SPD deutlich, dass die neue Landesregierung aufgrund rot-grüner Stimmenverluste und seiner eigenen Zugewinne stärker als bisher CDU-dominiert sein werde. Die Grünen müssen sich deshalb bei einer Fortsetzung des Regierungsbündnisses auf weniger Einfluss und Posten einstellen. Statt bisher vier Ministerien dürfte Rhein ihnen genau wie der SPD nur zwei Ressorts anbieten. Die Ampel-Parteien gehen aus der Hessenwahl eben stark geschwächt hervor, während das konservativ-rechte Lager deutlich gestärkt wurde.

 

 

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