Bei der Landtagswahl in Hessen droht ein dramatischer Absturz der FDP
Bei der Landtagswahl in Hessen droht ein dramatischer Absturz der FDP


Wiesbaden – Im Herbst 2023 wählen die Hessen ein neues Landesparlament. Ein genauer Wahltermin steht aber noch nicht fest. Nach der Landtagswahl 2013 bildete sich in Wiesbaden unter Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und seinem Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Grüne) eine schwarz-grüne Landesregierung, die 2018 knapp im Amt bestätigt wurde. Bei der letzten Landtagswahl im Oktober 2018 wurde die CDU mit 27,0 Prozent stärkste Partei, musste aber dramatische Verluste von 11,3 Prozent hinnehmen. Die Stimmen früherer Unionswähler wanderten zu einem nicht geringen Teil zur AfD, die ihren Stimmenanteil um 9,0 auf 13,1 Prozent steigern konnte. SPD und Grüne kamen beide auf 19,8 Prozent. Für die Sozialdemokraten bedeutete das Ergebnis starke Verluste und für die Grünen deutliche Gewinne. Die FDP konnte leicht auf 7,5 Prozent und die Linke auf 6,3 Prozent zulegen. Den Christ- und Sozialdemokraten steckt ihre Wahlklatsche immer noch in den Knochen, wenn im Herbst turnusgemäß ein neuer Landtag gewählt wird. Die CDU erzielte vor fünf Jahren ihr schlechtestes Ergebnis seit 1966, und die SPD musste das mieseste Ergebnis überhaupt bei einer hessischen Landtagswahl verkraften.

Dr. Stefan Naas entsorgte FDP-Urgestein René Rock als Spitzenkandidaten

Für die CDU unter ihrem Ministerpräsidenten und Landeschef Boris Rhein ist ein Weiterregieren nach derzeitiger Lage möglich, aber keinesfalls sicher. Der gebürtige Frankfurter, der das Regierungsamt im Frühjahr 2022 von Volker Bouffier übernahm, könnte von einer Ampel-Koalition entmachtet werden. Laut der aktuellsten Umfrage im Auftrag des Hessischen Rundfunks käme die Union auf 27 Prozent, SPD und Grüne könnten jeweils mit 22 Prozent rechnen, die AfD wäre mit 12 Prozent zweistellig, die FDP käme mit sechs Prozent gerade so in den Landtag und die Linke flöge mit drei Prozent raus. Besonders bei der FDP dürfte das große Zittern beginnen. Nach der Regierungsbeteiligung im Bund sinken die Zustimmungswerte für die Liberalen im Steilflug. Zwar hatte der extrem ambitionierte Dr. Stefan Nass den etwas blassen Sozialpolitiker René Rock als FDP-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2023 noch verhindert. Doch nun schwebt über eben jenen Stefan Naas die Gefahr des Absturzes unter fünf Prozent und damit der Rauswurf aus dem Hessischen Landtag.

Boris Rhein möchte eine weitere Landesregierung unter Führung der CDU

Boris Rhein hat eine geschlossene Hessen-CDU hinter sich. Das zeigte sich schon im Februar 2022, als sie den Landtagspräsidenten als Nachfolger des scheidenden Partei- und Regierungschefs Volker Bouffier nominierte. Einhellig votierten die hessischen CDU-Abgeordneten aus dem Landtag, dem Bundestag und dem EU-Parlament sowie die wichtigsten Kommunalpolitiker für Rhein. Der damals 50-Jährige sprach von einem „Übergang in Freundschaft und Übereinstimmung“, der die Grundlage „für einen Wahlerfolg im Jahre 2023“ sei. Weil Union, Grüne und SPD in den Umfragen relativ nahe beieinander liegen und sie sich einen Dreikampf um das Status als stärkste Kraft liefern werden, ist Rhein in einer schwierigen Position. Er muss das konservative Profil seiner Partei schärfen, um nicht weitere Wähler an die AfD zu verlieren, darf Grüne und SPD als potenzielle Koalitionspartner aber nicht zu scharf attackieren. Das ZDF beschrieb seine heikle Lage so: „Will er Ministerpräsident bleiben, muss er sich und die Union weiter profilieren, ohne den grünen Koalitionspartner zu düpieren. Er muss sich Optionen offenhalten und politische Gräben einebnen, damit sie nicht möglichen späteren Verhandlungen im Wege sind.“

Weil sie gerade keinen anderen profilierten Landespolitiker aufbieten kann, wird die hessische SPD wohl Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Spitzenkandidatin ins Rennen schicken. Mit ihrer Migrationspolitik und ihren Turbo-Einbürgerungsplänen für Hunderttausende Ausländer bietet die SPD-Landesvorsitzende aber viel Angriffsfläche. Neben der Aufnahme einer Million ukrainischer Flüchtlinge erreichten die illegalen Einreisen und Asylanträge im Jahr 2022 einen neuen Rekordwert: Die Bundespolizei registrierte über 85.300 unerlaubte Einreisen, und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden 214.253 Asylanträge gestellt. Der Vize-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, lässt deshalb kein gutes Haar an Faeser: „Wir stecken längst in einer Migrationskrise wie 2015. Die Bundesregierung schaut tatenlos zu.“ Es gebe keine Maßnahmen, die es der Bundespolizei erlaubten, illegale Einreisen unmittelbar an der Grenze zu bekämpfen. „Ganz offensichtlich stehen parteipolitische Ideologien vor sicherheitspolitischen Entscheidungen“, resümiert Teggatz. Trotzdem wird Boris Rhein die Sozialdemokratin wohl mit Samthandschuhen anfassen, weil sie parallel zur Spitzenkandidatur ihr Amt als Bundesinnenministerin behalten wird und somit eine wichtige Ansprechpartnerin der Landesregierung auf verschiedenen Politikfeldern ist.

Weil der Umgang mit Faeser und dem Vize-Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir eine politische Gratwanderung ist, hat es Boris Rhein mit dem Wahlkampfstart auch gar nicht eilig. Jüngst sagte er: „Ich bin sehr dafür, dass wir so lange wie möglich ein ganz reguläres Regierungs- und Verwaltungshandeln hier in Hessen haben.“ Dem CDU-Politiker ist anzuhören, dass er die Koalition mit den Grünen gerne fortsetzen würde, denn Schwarz-Grün arbeite in Wiesbaden partnerschaftlich und konstruktiv zusammen. Nur beim Thema Vorratsdatenspeicherung habe es unterschiedliche Positionen gegeben, was aber nicht mit politischem Streit gleichzusetzen sei. Auch betonte er den vertrauensvoll-diskreten Umgang: In Wiesbaden werde man nicht erleben, „dass aus Koalitionsrunden heraus geplaudert wird“.

Ob die Grünen genauso positiv auf die Kooperation mit der Union blicken, ist eher fraglich, obwohl sie viele grüne Projekte durchsetzen konnten. Wirtschaftsminister Al-Wazir dürfte als einer der beiden grünen Spitzenkandidaten gesetzt sein und will unbedingt selbst Regierungschef werden. Die Verlockung wird deshalb groß sein, in einem Bündnis mit SPD und FDP die machtverwöhnte CDU aus der Landesregierung zu kicken. Daran ändert auch nichts, dass FDP-Spitzenkandidat Stefan Naas selbst das Wirtschaftsressort übernehmen will und den Amtsinhaber wirtschaftspolitisch selbstbewusst angreift. Die Grünen bringen sich jedenfalls schon für den Wahlkampf in Stellung. Als Frau im gemischtgeschlechtlichen Spitzen-Duo sieht sich Hessens Kunst- und Wissenschaftsministerin Angela Dorn. Die 40-jährige Marburgerin erklärte Ende letzten Jahres vor Parteifreunden: „Ich möchte mit Euch gemeinsam in den Wahlkampf ziehen, damit wir Grüne die stärkste Kraft in Hessen werden und mit Tarek Al-Wazir der erste Grüne hessischer Ministerpräsident wird. Dafür bewerbe ich mich auf den weiblichen Spitzenplatz.“

Spitzenkandidat der hessischen AfD ist ihr Landtagsfraktionschef Robert Lambrou, der auf einem Parteitag im Oktober 2022 mit einer Zustimmung von 78 Prozent gewählt wurde. Nach seiner Nominierung sagte er: „Die AfD wie auch ich stehen für eine bürgerlich-konservative, freiheitliche Politik und das Ergebnis zeigt, dass dieser Kurs nicht nur von uns beibehalten wird, sondern dass er gut und richtig ist und als Gegengewicht zu einer überwiegend links-grün dominierten Landes- und Bundespolitik dringend benötigt wird.“ Einer SPD-Spitzenkandidatur Nancy Faesers wäre er nicht abgeneigt, weil sie von der AfD für ihre Zuwanderungspolitik massiv angegriffen werden könnte. „Dann wären unsere Leute bis in die Haarspitzen motiviert.“ Während Umfragen die AfD ganz sicher im Landtag sehen, wird den hessischen Linken im Herbst wohl das Totenglöckchen läuten. Selbst mit ihrer langjährigen Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler wäre ein Wiedereinzug äußerst schwierig. Mit deren Wahl in den Bundestag und ihrer Übernahme des Linken-Bundesvorsitzes, wo sie nicht immer eine glückliche Figur macht, fehlt den hessischen Genossen ein bekanntes Zugpferd. Nach der Hessen-Wahl könnte sich der bundesweite Niedergang der Linkspartei noch beschleunigen.

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