Paruar Bako und die Waisenschule Harman
Paruar Bako und die Waisenschule Harman

Das Mögliche im Unmöglichen


"Wir haben vieles geschafft, aber es reicht nicht", sagt Paruar Bako entschlossen. Und dass Hoffnung allein nicht ausreicht, wenn man nicht an eine gute Zukunft glaubt. Hoffnung sei eine passive Haltung. "Wir wollen den Menschen hier den Glauben an sich selbst zurückgeben und das Wissen, dass sie selbst die Veränderung sein müssen, nach der sie sich sehnen."

Der heute 28jährige war schon im Alter von 23Jahren jüngster Waisenhausgründer und -Leiter der Welt.

Wie kam es dazu?

Im August 2014 überfielen die Mörder des Islamischen Staates jesidische Städte und Dörfer in Syrien und im Irak und massakrierten alles, was ihnen vor die Gewehrläufe oder unter das Messer kam. Unschuldige und unbeteiligte Menschen wurden geköpft, gepfählt, gekreuzigt, versklavt. Abertausende Kinder verloren ihre Eltern. Die überlebten, wurden von den Flüchtlingsströmen ins einigermaßen sichere Irakisch-Kurdistan mitgerissen. Bis zum heutigen Tag darben ca. 3000 jesidische Mädchen und Frauen als Sexsklavinnen in den Restgebieten des Islamischen Staates.

Damals, 2014 in Kurdistan, hatte auch ParuarBako sein Initiationserlebnis: Überall sah er verlassene, hungernde Kinder, die nichts und niemanden mehr hatten. Mutterseelenallein standen sie auf der Straße, saßen auf Trottoirs, lagen im Staub. Niemand kümmerte sich um sie. 

Als Paruar Bako Anfang August 2014, damals noch Student in Osnabrück, die Bilder von den unfassbaren, vom Islamischen Staat begangenen Grausamkeiten im TV sah, dauerte es nur wenige Sekunden, bis er einen weitreichenden Entschluss fasste: Er gab sein Studium auf und reiste unter abenteuerlichen Umständen ins Kriegsgebiet, um gegen den IS zu kämpfen. Als er inmitten der Wirren ein einsames Kind an einer Kreuzung sah, fühlte er sich sofort in die Pflicht genommen. Denn in den Augen des Kindes sah er den verzweifelten Schrei: 

"Lass mich nicht allein!"

Paruar Bako ist Jeside. Deutscher Jeside. 

Die Jesiden sind eine nach inzwischen 74 an ihnen begangenen Völkermorden immer kleiner werdende religiöse Minderheit, ihre Hauptsiedlungsgebiete liegen im Nordirak, Nordsyrien und in der Südosttürkei, ihre zahlenmäßig größte Auslandsdiaspora befindet sich in Deutschland.

Paruar Bako liebt Deutschland. "Nie werden wir den Deutschen vergessen, wie freundlich sie uns Anfang der 90er Jahre aufgenommen haben."

Er wurde 1993 im kurdisch-jesidischen Khankegeboren. Als er gerade 1 Jahr alt war, nahmen ihn seine Eltern mit nach Deutschland, um endlich ein Leben in Frieden führen zu können. Sein Vater hatte in Saddams Irak bereits eine Familie gehabt. Die ganze Familie, 27 Menschen, darunter die alte Großmutter und ein erst wenige Wochen altes Baby, wurden von Saddams Mördern bei lebendigem Leibe in der Wüste begraben.

"Was wir daraus machen, entscheidet, was es am Ende wirklich war."

Die jesidische Mythologie kennt keinen Hass, keine Rache. "Jesiden versuchen immer, aus dem, was ist, das Beste zu machen", sagt ParuarBako. 

Genau das hat er dann auch gemacht: Es ist das großartigste, beste, notwendigste Projekt, das man sich nur vorstellen kann. Das von ParuarBako gegen immense Widerstände 2017 eröffnete Waisenhaus ist heute eine Schule und ein Kindergarten für jesidische Waisenkinder.

Getragen wird die Einrichtung vom in Oldenburg ansässigen Verein "Our Bridge", der sich über Spenden und Sponsoren finanziert. Paruar Bakohat das Haus "Harman" genannt: "Das, was bleibt". Eine Insel des Glücks, ein Leuchtturm der Freude, Sehnsuchtsort und warmes Zuhause für all die verlorenen jesidischen Kinder des Krieges. 

Bako ist entschlossen, alles zu tun, um das Elend seiner inzwischen seit 7 Jahren in Zeltlagern und Behelfsbauten lebenden Glaubensbrüder und -Schwestern, Jesiden und Kurden wie er, Perspektiven für eine bessere Zukunft in Frieden und Einheit zu erkämpfen. Nicht mit dem Gewehr, sondern mit dem Herzen.

Am 27. September 2021, seinem 28. Geburtstag, hat Paruar Bako im Selbstverlag sein Buch "Farman. Wenn uns unsere Wurzeln wieder einholen" veröffentlicht. "Farman" heißt Genozid. Farman hieß auch der kleine Säugling, den Saddam Husseins Schergen einst lebend in der Wüste begruben.

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