Die Sopranistin Aida Garifullina ist der aufsteigende Stern am Opernhimmel (Quelle: Aida Garifullina)
Die Sopranistin Aida Garifullina ist der aufsteigende Stern am Opernhimmel (Quelle: Aida Garifullina)


Wien – Im Jänner 2017 schwärmten die österreichischen Hauptstadtmedien und Feuilletons von einem herausragenden Kulturereignis des noch so jungen Jahres. In der Wiener Staatsoper bot nämlich ein Traumtrio die bekannteste Liebesgeschichte der Welt dar: Opernliebling Aida Garifullina sang erstmals am Haus die Juliette, Startenor Juan Diego Flórez den Roméo, und am Pult stand Plácido Domingo. Die damals gerade einmal 29-jährige russische Sopranistin war mit der Partie der Juliette bestens vertraut, da sie schon den Opernball 2015 mit einer Arie daraus eröffnet hatte. Dass Domingo im Orchestergraben an die Staatsoper zurückgekehrt ist, wurde genauso begeistert aufgenommen wie die Verpflichtung des peruanischen Bel Canto-Stars als Roméo. Die Vorstellungen der Oper von Charles Gounod waren natürlich innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Das Online-Portal „Fonoforum“ schrieb 2017 voller Bewunderung über die Auftritte des weiblichen Gesangswunders: „Für ihr Alter hat Aida Garifullina ein auffallend reifes Timbre, gerade auch in den tieferen Lagen. Ihre Stimmtechnik ist ebenso makellos wie ihre Erscheinung, und gibt sie auf der großen Bühne die Juliette, wie in diesen Tagen mit Juan Diego Flórez als Partner in Gounods ‚Roméo et Juliette‘ unter der Leitung von Plácido Domingo, so verführt sie mit strahlender Wärme im Ton, tänzelnder Leichtigkeit in den Koloraturen und einer schlanken Stimmführung durch die verschiedenen Register.“

Im selben Jahr veröffentlichte das feste und gefeierte Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper das mit Spannung erwartete Debütalbum. Die Sopran-Newcomerin präsentierte zusammen mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung des deutschen Dirigenten Cornelius Meister vor allem Werke von Charles Gounod (1818–1893), Leo Delibes (1836–1891) sowie Nikolai Rimsky-Korssakoff (1844–1908). Diesem Debüt hatte die Opernwelt regelrecht entgegengefiebert. In einer „Stereo“-Rezension hieß es: „Die Gewinnerin von Plácido Domingos Operalia-Wettbewerb 2013 hat einen klangschönen lyrischen Sopran mit einem charakteristischen Glitzern, kontrastierenden Farben und guter Agilität mit soliden Trillern und gut zentrierten Staccati.“ Für dieses Album erhielt der Opernstar die Auszeichnung Echo Klassik 2017 in der Kategorie „Solistische Einspielung“. Bei der Preisverleihung in der Hamburger Elbphilharmonie dankte eine innerlich bewegte Garifullina ihrer „Mama, die immer an mich geglaubt hat“.

Wer an höhere Schicksalsmächte glaubt, kann schon ihren Vornamen Aida für einen Fingerzeig der Vorsehung halten. Wohl auf Wunsch ihrer Mutter, einer Chorleiterin, wurde die gebürtige Tatarin nach der versklavten Königstochter in Giuseppe Verdis berühmter Oper benannt, die sich aus bedingungsloser Leidenschaft an der Seite ihres Geliebten bei lebendigem Leib einmauern ließ. Aida Garifullina sagte einmal, dass ihre Mutter zwar ein großer Verdi-Fan sei, sie selbst aber nicht wegen ihres Vornamens Opernsängerin geworden sei. Die Namenswahl habe einen anderen Grund gehabt. Eine vergleichbare Leidenschaft wie Verdis Aida, gepaart mit großem Talent und Ehrgeiz, ließ sie aber zum leuchtenden Stern am europäischen Opernhimmel werden. 

Prägend für Aida Garifullinas späteren Werdegang war ihr familiäres Umfeld, in dem sie ständig von Musik umgeben war. „Und so habe ich schon sehr früh die Kompositionen von Tschaikowsky, Rimski-Korsakow, Rachmaninow, Beethoven und Mozart gehört. Ich habe diese Musik geliebt. Meine Mutter ist Musikerin“, sagte sie in einem Interview. „Und sie hat mich immer zu den Konzerten des Chores mitgenommen, den sie damals geleitet hat. Bei den Proben war ich auch ständig dabei.“ Der erste Opernbesuch sei deshalb nur eine Frage der Zeit gewesen. „Was mich verzaubert hat, war diese Dynamik, mit der alle Menschen dort ihre Kräfte und Stimmen vereint haben, um gemeinsam so einen wunderschönen Klang zu erzeugen. Und da dachte ich: Irgendwann muss ich eine Sängerin werden.“ Schon zu Beginn ihrer Karriere wurde sie von der Fachwelt mit ihrer Kollegin Anna Netrebko verglichen.

Nach der künstlerischen Förderung durch ihre Mutter ging sie sechzehnjährig von Kasan, der Hauptstadt der Republik Tatarstan in Russland, nach Nürnberg, um bei dem Wagner-Tenor Siegfried Jerusalem zu studieren. Danach folgte sie dem Lockruf der Opern-Metropole Wien und studierte auch dort Gesang. 2013 feierte sie ihren Durchbruch mit dem Gewinn von Plácido Domingos Operalia-Gesangswettbewerb in Verona. Dann wurde sie Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper und eroberte im Sturm die Herzen des anspruchsvollen Publikums. Gastengagements führten sie an die Opéra national de Paris, die Metropolitan Opera in New York, das Gran Teatre del Liceu in Barcelona, zu den Salzburger Festspielen und an viele andere Orte. Seit ihrem Stadionauftritt bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland ist sie nicht mehr nur Freunden der klassischen Musik bekannt. Dort sang sie an der Seite von Robbie Williams.

Aufgeregt ist die Sopranistin bei wichtigen Auftritten nur am Anfang: „Wenn ich auf die Bühne komme, verschwindet meine Nervosität. Dann singe ich, genieße den Auftritt und lebe diesen Moment. In diesem Augenblick gehört die Bühne mir.“ Aida Garifullina bemüht sich seit Jahren mit einigem Erfolg, das verstaubte Image der Oper bei jüngeren Leuten aufzupolieren. Früher als andere ihres Berufsstandes nutzte sie Instagram, um Privates aus ihrem Leben preiszugeben und damit dem Klischee der Unnahbarkeit entgegenzuwirken, das früheren Operndiven immer anhaftete. „Ich kleide mich nicht nur für die schönen Fotos für Instagram so. Ich reise wirklich viel, treffe interessante, berühmte Menschen“, sagt sie. Um die jüngere Generation zu erreichen, setzt sie gezielt auf die sozialen Medien: „Es ist mir wichtig, dass mich so viele Generationen wie möglich sehen. Besonders die Jungen.“ Früher sei die Oper viel populärer gewesen. „Man muss heute näher am Publikum sein“, erklärt sie und kann diese Nähe durch ihre natürliche Art auch herstellen. Der „Kurier“ zitierte die heute 33-Jährige mit der Aussage: „Ich weiß ganz genau, dass es noch mehr zu erreichen gibt. Es gibt immer noch etwas, das man lernen, das man schaffen soll. Ich will mehr! Mehr singen, mehr auftreten.“ Dieser Wunsch wird aufgrund ihres atemverschlagenden Gesangstalents ganz sicher in Erfüllung gehen.

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