Bunt, grün und wild?
Bunt, grün und wild?


Dortmund – Klimawandel, Überbevölkerung und Wasserknappheit stellen die Landwirtschaft vor große Herausforderungen, die nur durch die Nutzung innovativer Zukunftstechnologien zu meistern sind. Zu ihnen gehört zweifelsfrei die „vertikale Landwirtschaft“ beziehungsweise das „Vertical Farming“ als Sonderform urbaner Lebensmittelproduktion. Ganz konkret ist damit die Massenproduktion pflanzlicher oder tierischer Erzeugnisse in mehrstöckigen Gebäuden gemeint. Dieser landwirtschaftliche Ansatz zielt auf die platzsparende und ressourcenschonende Selbstversorgung von Großstädten, indem die Erzeugung von Lebensmitteln in Hochhäusern stattfindet. Vertical Farming erlaubt eine nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung von urbanen Lebensräumen, bei der die Nähe zu den Abnehmern Transportzeit und -kosten spart und ist damit klimafreundlich ist. Die Idee geht auf den US-Wissenschaftler Dickson Despommier und sein vor über 10 Jahren erschienenes Buch „The Vertical Farm: Feeding the World in the 21st Century“ zurück. Der Sänger Sting lobte das Buch in den höchsten Tönen: „Die vertikale Farm ist eine weltverändernde Innovation, deren Zeit gekommen ist. Dickson Despommiers visionäres Buch liefert eine Blaupause für die Sicherung der Welternährung und gleichzeitig für die Lösung einer der schwersten Umweltkrisen unserer Zeit.“

Vertikale Farmen können sofort in verlassenen Gebäuden errichtet werden und sind in der Lage, grundsätzlich jede Stadt der Welt mit Obst und Gemüse zu versorgen. Die übereinander gebauten Gewächshäuser ermöglichen an 365 Tagen im Jahr den Anbau von Pflanzen, die vollständig vor negativen Witterungseinflüssen und Schädlingsbefall geschützt sind. Damit erübrigt sich der ebenso teure wie umweltschädliche Einsatz von Pestiziden, Düngemitteln und Herbiziden. Wasser kann extrem sparsam eingesetzt und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen deutlich verringert werden. Die Verlagerung der Produktion vom Boden in die Höhe schafft geschlossene, hocheffiziente Nutzungskreisläufe, die sowohl dem Klimaschutz als auch der Sicherung der Welternährung dienen.

So überrascht es nicht, dass vom 27. bis zum 29. September 2022 in der Messe Dortmund die neue VertiFarm stattfand, die Internationale Fachmesse für Next Level Farming und New Food Systems. Sie will sich als weltweite Business- und Informationsplattform für die Zucht- und Anbaumöglichkeiten der vertikalen Landwirtschaft etablieren. VertiFarm präsentierte sich den Ausstellern und Besuchern als internationale Drehscheibe für die modernste Sparte der Landwirtschaft. „Das Konzept von Vertical Farming und New Food Systems ist schon heute ein globales Zukunftsthema und ein sich dynamisch entwickelnder Markt“, sind die Messeveranstalter überzeugt. „Hier treiben innovative Start-ups und große Konzerne die Entwicklung der vertikalen Landwirtschaft im urbanen Raum gemeinsam voran, um den Ertrag zu sichern und zu maximieren, ohne dabei ökologische und soziale Faktoren zu vernachlässigen.“

Ideell von der Non-Profit-Organisation Association for Vertical Farming (AVF) unterstützt, suchten die Messeteilnehmer nach Lösungsansätzen für Fragen der Energieeffizienz, der Versorgungsabsicherung und der urbanen Nachhaltigkeit. Die AVF hat sich der Förderung der Indoor/Vertical-Farming-Bewegung durch intensiven Austausch und globale Zusammenarbeit verschrieben. Im Rahmen der VertiFarm fand auch der Jahreskongress, der AVF SUMMIT 2022, erstmals in Dortmund statt. Die dreitägige Fachmesse stellte in einer umfassenden Leistungsschau verschiedene Produktneuheiten und Anbausysteme vor. Daran beteiligten sich unter anderem Aussteller aus Deutschland, den USA, Schweden, Großbritannien, China, Italien, Australien, Kanada, der Schweiz und den Niederlanden. Handelsvertreter und fachlich Interessierte konnten Kontakte zu produzierenden Unternehmen und Zulieferfirmen knüpfen und sich einen Überblick über neue Themenfelder wie Aquaponik und Hydroponik verschaffen. Rund 70 ausstellende Unternehmen aus 17 Ländern trafen in der Messe Dortmund auf rund 1.500 Teilnehmer, die etwa der Lebensmittelbranche, der Agrarwirtschaft sowie der Pharma-Industrie angehören. Die VertiFarm scheint die hohen Erwartungen der Aussteller und Gäste erfüllt zu haben, wie man an den durchweg positiven Stimmen der Teilnehmer sieht.

„Wir freuen uns sehr, dass wir mit der ersten und einzigen reinen Messe für Next Level Farming und New Food Systems Wissen, Technik, Entwicklung und Netzwerk zu diesem globalen Zukunftsthema an einem der bedeutendsten Logistikstandorte Deutschlands vereinen konnten“, sagte Sabine Loos als Hauptgeschäftsführerin der Westfalenhallen Unternehmensgruppe. Dabei seien die internationalen Rahmenbedingungen nicht unbedingt günstig gewesen. „Gerade vor diesem Hintergrund zeichnet diese überaus erfolgreiche Premiere ein vielversprechendes Bild für die weitere Zukunft der VertiFarm“, meinte die Messechefin. Die Ernährung der Weltbevölkerung und die nachhaltige Versorgung der Großstädte gehörten zu den großen Zukunftsaufgaben, unterstrich Loos. Deshalb sei die Fachmesse VertiFarm von enormer Bedeutung.

Auch Christine Zimmermann-Lössl von der Association for Vertical Farming (AVF) betont den Wert derartiger Zusammenkünfte des Fachpublikums. Es gebe noch so viel mehr zu verstehen. „Der Mehrwert, den die VertiFarm dabei bietet, besteht darin, einen Überblick über die Akteure in diesem Bereich zu erhalten und Diskussionen mit den verschiedenen Anbietern aus aller Welt zu ermöglichen.“ Als weiterer Partner der Fachmesse konnte die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) gewonnen werden. Deren Geschäftsführer für den Fachbereich Ausstellungen, Tobias Eichberg, verwies darauf, dass die DLG Impulsgeber für eine nachhaltige Land- und Lebensmittelwirtschaft sei. „Wir sehen in neuen Produktionssystemen wie Vertical Farming interessante Potenziale für die Zukunft und unterstützen in diesem Jahr gerne den Know-how-Transfer innerhalb der Themenwelten ‚Next level farming and new food systems“, so der Messeprofi.

Im Rahmen des internationalen Branchentreffens veranstaltete die Klimaschutzoffensive des Handelsverbands Deutschland (HDE) einen „Retail Day“, damit sich Handelsunternehmen praxisnah über Innovationen und Trends, Marktlagen und Geschäftsmodelle informieren können. Jelena Nikolic, HDE-Projektleiterin und Mitorganisatorin des „Retail Day 2022“, hob den Wert der Messe hervor: „Klima- und Ressourcenschutz, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sind vorrangige Themen, denen sich der Handel stellt. Mit dem Retail Day auf der neuen Fachmesse VertiFarm bieten wir Handelsunternehmen eine Informationsveranstaltung, auf der sie sich über diesen neuen Wirtschaftszweig informieren und wirtschaftliche Vorteile für ihre Unternehmen kennenlernen können.“

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