Frankfurt am Main – Nach Zwischenstationen als hessischer Innen- und Wissenschaftsminister sowie als Landtagspräsident ging für Boris Rhein am 31. Mai 2022 vermutlich ein Lebenstraum in Erfüllung: der Christdemokrat wurde Ministerpräsident seines Bundeslandes. Als Amtsvorgänger Volker Bouffier im Februar 2022 seinen Rücktritt ankündigte, wurde Rhein von der Hessen-CDU als neuer Regierungschef vorgeschlagen und von der Mehrheit des Hessischen Landtages gewählt. Der gebürtige Frankfurter setzte Bouffiers schwarz-grüne Koalition geräuschlos fort, obwohl er nicht unbedingt als großer Grünen-Freund bekannt war. Deshalb überraschte es politische Beobachter auch nicht, dass er nach seinem Wahlsieg bei der Landtagswahl im Oktober 2023 die Koalition mit den Grünen beendete. Stattdessen strebte er ein Regierungsbündnis mit der SPD an, das nach kurzen und konstruktiven Verhandlungen wunschgemäß zustande kam. Am 18. Januar 2024 bestätigte der Hessische Landtag Boris Rhein im Amt des Ministerpräsidenten, der mit seinem zweiten Kabinett schnell durchstartete.
Das ist jetzt genau ein Jahr her und Gelegenheit für den 53-jährigen Juristen, eine erste Bilanz der schwarz-roten Regierungsarbeit zu ziehen. „Wir haben bei den konkreten Herausforderungen geliefert und eine Renaissance der Realpolitik eingeleitet, indem wir das Land führen und keine schrillen Debatten“, so Rhein. „Wir haben das eingelöst, was wir für unser erstes Jahr versprochen haben. Das war ein gutes Jahr für Hessen.“ Ähnlich zufrieden äußerte sich der SPD-Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Kaweh Mansoori: „Wir sind in der Koalition angetreten, um in Zeiten großer Herausforderungen und Unsicherheiten für Stabilität zu sorgen und unser Land nach vorne zu bringen. Nach einem Jahr Regierungshandeln können wir sagen: Wir haben geliefert.“ Den Partnerwechsel zu den Sozialdemokraten bezeichnete Rhein als eine „gute Entscheidung für unser Land“. Das Versprechen einer christlich-sozialen Sachpolitik, die sich den Alltagsproblemen der Menschen zuwende, sei eingelöst worden.
Der verheiratete Familienvater lobte das geradezu freundschaftliche Arbeitsklima in der Landesregierung, das nach der jahrzehntelangen Gegnerschaft von Christ- und Sozialdemokraten nicht unbedingt zu erwarten war. Die Hessen-CDU galt immer als konservativ und die Hessen-SPD als sehr links. Nach einem Jahr Schwarz-Rot präsentierte Rhein eine 60-Punkte-Liste mit abgearbeiteten Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag. Der CDU-Landeschef nannte die Aufnahme des Wolfes in das hessische Jagdrecht, eine höhere Polizeipräsenz, Landeshilfen für Bauern, ein Landesgeld für die Erwerber einer ersten selbstgenutzten Wohnimmobilie und die Konsolidierung der Finanzen trotz prekärer Rahmenbedingungen. Wichtig zu erwähnen sind dem Ministerpräsidenten punktuelle Verschärfungen in der Migrationspolitik. Er verwies darauf, dass Asylbewerber in Hessen finanzielle Leistungen inzwischen bargeldlos per Bezahlkarte erhalten und solche mit schlechter Bleibeperspektive dauerhaft in der Erstaufnahme verbleiben, statt nach kurzer Zeit einer Gemeinde zugewiesen zu werden.
Im vergangenen September warf Boris Rhein der Ampel-Regierung Handlungsunfähigkeit in der Migrationsfrage vor und forderte Zurückweisungen an der deutschen Grenze. „Wir brauchen ein wirkliches Stoppschild an den deutschen Grenzen“, erklärte er als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Rhein argumentierte mit einem Domino-Effekt bei der Migration durch mehrere europäische Staaten: „Deutschland ist ja ein Magnet bei der Migration und wenn wir sehr klar machen, es kommt keiner rein, der kein Recht hat, dann werden natürlich auch sehr viel weniger durch diese Länder an die Grenze Deutschlands kommen.“ Die Belastungsgrenze sei überschritten, weshalb wirksame Maßnahmen zur Begrenzung der irregulären Migration unabdingbar seien, sagte der Regierungschef, der in jungen Jahren seinen Zivildienst als Betreuer in einem Behinderten-Wohnheim leistete.
Am 22. Januar 2025 schrieb er nach dem Doppelmord eines abgelehnten afghanischen Asylbewerbers im Kurznachrichtendienst X: „Die schrecklichen Nachrichten aus Aschaffenburg erschüttern mich zutiefst. Wir trauern um einen kleinen Jungen und einen Mann, der für seine Zivilcourage mit dem Leben bezahlen musste. Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien. Mein Dank gilt den Rettungskräften.“ Es bleibt abzuwarten, ob Rhein den mörderischen Amoklauf im hessennahen Aschaffenburg zum Anlass nimmt, die Abschiebung ausreisepflichtiger Asylbewerber aus seinem Bundesland zu forcieren. Im letzten Dezember legte Landesinnenminister Roman Poseck (CDU) eine Bilanz zu Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen vor. Demnach wurden im Jahr 2023 genau 1.406 Personen und von Anfang Januar bis Ende November 2024 1.527 Migranten aus Hessen in ihre Heimatländer abgeschoben. Bis zum Ende des letzten Jahres rechnete der CDU-Politiker mit etwa 1.700 Abschiebungen. Das wäre im Vorjahresvergleich eine Steigerung um etwa 20 Prozent. Aber allein in Hessen stellten im vergangenen Jahr 18.068 neue Migranten einen Asylantrag, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mitteilte. Die meisten kamen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. 2024 nahm Hessen 7,9 Prozent aller Asyl-Erstantragsteller in Deutschland auf.
Früher und überzeugter als andere CDU-Ministerpräsidenten machte sich Boris Rhein für die Kanzlerkandidatur seines Parteichefs Friedrich Merz stark. Der sei „der richtige Mann“ für das Kanzleramt und könne Deutschland neuen Schwung geben. Der Sauerländer habe „bewiesen, dass er es kann“. Merz sei es auf Bundesebene gelungen, die Schwesterparteien CSU und CDU wieder zusammenzuführen und für ein „klar bürgerlich-konservatives Profil“ zu sorgen. Rhein lobte die Entscheidung Markus Söders, sich hinter den CDU-Chef zu stellen und dessen Kanzlerkandidatur zu unterstützen. Als Unterschiede zwischen der Union und den Ampel-Parteien nannte er „Stabilität statt Streit, Kurs statt Chaos und Konjunkturpolitik statt Cannabis-Politik“.
Bei aller medialen Fokussierung auf die vorgezogene Bundestagswahl kümmert sich Boris Rhein engagiert um die Landespolitik. So treibt er die Förderung des Haus- und Wohnungsbaus sowie die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren voran. „Mit dem Hessenfonds wollen wir in Hessen gezielt Impulse setzen, um Unternehmen bei der Anpassung an neue Herausforderungen zu unterstützen“, sagte er beim 25. Frankfurter Immobilien Symposium. „Auf Bundesebene brauchen wir einen echten Comeback-Plan für die Wirtschaft, der Innovationen fördert und Transformation ermöglicht.“ Hessen fördert erfolgreich den Neubau von Sozialwohnungen, was die rekordverdächtigen Anmeldezahlen im letzten Jahr zeigen. Aus Sicht des Ministerpräsidenten ist die soziale Wohnraumförderung ein Stabilitätsanker für die gesamte Bau- und Immobilienbranche. „Bauen muss aber auch für jede Familie unkompliziert möglich sein“, unterstrich der Christdemokrat. „Mit der Einführung des Hessengelds haben wir einen wichtigen Schritt getan, um den Erwerb des ersten Eigenheims zu erleichtern.“
Die Hessen sind mit Boris Rheins CDU zufrieden und würden sie bei einer Landtagswahl noch stärker machen als im Oktober 2023. Damals bekam sie 34,6 Prozent der Stimmen. Eine im letzten Dezember veröffentlichte Forsa-Umfrage ergab sogar 38 Prozent für die Hessen-CDU. Es folgten mit großem Abstand die AfD mit 16 und die mitregierende SPD mit 15 Prozent.